Jahresbericht 2021

Der Markt ist in einem erheblichen Ungleichgewicht

Die Preise am Energiemarkt spielen verrückt und steigen in Rekordhöhen. Stadtwerke-Vorstandschef Marcus Wittig erklärt im Interview die Ursachen und Folgen und wie die Stadtwerke versuchen, die Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher stabil zu halten. Von der Politik fordert er mehr Anstrengungen, um den Markt für Grundbedürfnisse besser zu schützen.

Stadtwerke Duisburg Geshäftsbericht 2021 - Marcus Wittig

Seit Monaten kennen die Energiepreise nur eine Richtung: steil nach oben. Was passiert derzeit auf dem Markt?

Marcus Wittig: In Deutschland erzeugen wir Strom und Wärme zu erheblichen Teilen aus Erdgas. Weil nach den weltweiten Lockdowns in der Corona-Pandemie die Konjunktur wieder stark anzieht, ist der Bedarf an Gas enorm gestiegen. Das führt zu steigenden Preisen. Zugleich ist das Angebot der Erdgas-fördernden Länder nicht in gleichem Maße wie die Nachfrage gewachsen. Das treibt den Preis weiter in die Höhe, innerhalb eines Jahres hat er sich mehr als verdreifacht. So etwas hat es in dieser Form noch nie gegeben. Seit Februar kommen die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hinzu. Die Rolle Russlands als einer der wichtigsten Energielieferanten für die Europäische Union wird damit nachhaltig infrage gestellt. Auch das treibt die Preise weiter in die Höhe. Der Markt ist in einem erheblichen Ungleichgewicht.

Was bedeutet das für die Endverbraucher?

Marcus Wittig: Ganz oft bedeutet das leider, dass die Preise steigen. Wir haben Ende 2021 gesehen, dass einige Unternehmen keine Kunden mehr annehmen oder sogar die Belieferung von Kunden eingestellt haben. Als Grundversorger in Duisburg springen wir dann ein und stellen die sichere Versorgung dieser Verbraucher mit Strom und Gas sicher.

Stadtwerke Duisburg Geschäftsbericht 2021 - Preisgrafik Strom

Müssen sich die Kunden der Stadtwerke Duisburg auch Sorgen machen?

Marcus Wittig: Nein. Wir kaufen die notwendigen Mengen durch unseren eigenen Energiehandel sehr frühzeitig ein und sichern uns damit im Voraus ein stabiles Preisniveau. Dadurch können wir solche Preis-Turbulenzen an den Märkten etwas abfedern. Aber natürlich wird die Marktlage durch das Agieren Russlands auch für uns immer schwieriger zu kalkulieren. Wir tun alles dafür, die Preise so lange wie möglich stabil zu halten, aber auch wir stehen unter Druck, wenn der Markt sich nicht bald wieder auf ein normaleres Preisniveau einpendelt.

Ist die Versorgungssicherheit in Duisburg in Gefahr?

Marcus Wittig: Zum jetzigen Zeitpunkt ist sie das nicht. Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklungen genau und unternimmt vieles, Mangellagen vorzubeugen. Aber noch immer ist die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland hoch. Solange dies unverändert bleibt, besteht die Gefahr, dass bei einem Ausfall von Lieferungen weniger Gas zur Verfügung steht, als die deutschen Verbraucher und die Wirtschaft benötigen. Aber auch hier ist sichergestellt, dass die Privathaushalte geschützt sind und solange es möglich ist, mit Gas versorgt werden. Als Stadtwerke Duisburg sind wir auf Gaslieferungen aus den sogenannten vorgelagerten Netzen angewiesen. Die Mengen, die nach Deutschland importiert und dann verteilt werden, können wir von Duisburg aus nicht beeinflussen.

Was muss passieren, um den Energiemarkt wieder in ruhigere Zeiten zu bringen?

Marcus Wittig: Ganz unabhängig von den Entwicklungen auf dem Energiemarkt muss die schreckliche Situation in der Ukraine und für die Menschen dort ein friedliches Ende finden. Das hätte dann auch für den Energiemarkt eine beruhigende Wirkung. Die Bestrebungen, sich unabhängig von Energielieferungen aus Russland zu machen, müssen aber in jedem Fall fortgesetzt werden. Darüber hinaus sind seit jeher in Deutschland rund drei Viertel zum Beispiel des Strompreises staatliche Abgaben, Steuern und Umlagen. Hier gibt es sicher Möglichkeiten, die Preise für die Endverbraucher etwas zu regulieren.

Stadtwerke Duisburg Geschäftsbericht 2021 - Preisgrafik Gas

Also muss die Politik eingreifen, um der Entwicklung entgegenzusteuern?

Marcus Wittig: Ich bin überzeugt, dass alle Verantwortlichen für dieses Thema sensibilisiert sind. Erste Schritte sind unternommen. Die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz entfällt ab 1. Juli. Das hat sicher positive Auswirkungen auf den Strompreis. Wir reden hier von Strom und Wärme, das sind Grundprodukte zum Leben. Diese dürfen nicht zu hochspekulativen Gütern werden. Bei einem Strompreis, der zu drei Vierteln durch staatliche Vorgaben reguliert ist, fehlt es der Politik jedenfalls sicherlich nicht an Steuerungsmöglichkeiten.

Die Stadtwerke Duisburg haben für Kunden, die nach dem Aus von einigen Energie-Discountern in die Grund- und Ersatzversorgung gefallen sind, einen zweiten, teureren Tarif eingeführt. Warum?

Marcus Wittig: Für alle Kunden, mit denen wir im Voraus planen konnten, haben wir mit großem Vorlauf Energiemengen beschafft. Für Kunden, mit denen wir nicht rechnen konnten, mussten wir kurzfristig und zu den enormen Marktpreisen Energie einkaufen. Wir mussten daher leider diese Tarifsplittung vornehmen, auch um die anderen Kunden, die uns seit vielen Jahren die Treue halten, zu schützen. Andernfalls hätten wir für alle die Preise erhöhen müssen und die Bestandskunden hätten damit die Rechnung dafür bezahlt, dass andere Kunden zu Energie-Discountern, die dann nicht mehr geliefert haben, gewechselt sind.

Kann sich eine solche Situation wiederholen?

Marcus Wittig: Auch das ist Sache der Politik. Die Mechanismen des freien Marktes greifen auch in der Energieversorgung. Aber das Ausmaß, in dem Kunden von Energie-Discountern Ende 2021 und Anfang 2022 einfach im Regen stehen gelassen wurden, darf aus meiner Sicht im Bereich der Daseinsvorsorge nicht sein. Ich hoffe, dass die Politik hier Instrumente etabliert, die solche Geschäftspraktiken im Bereich der Grundbedürfnisse in Zukunft ausschließen. Die Menschen können sich auf uns als Grundversorger immer verlassen. Aber wir benötigen Marktregeln, die uns ein vernünftiges Wirtschaften zum Wohle aller Verbraucherinnen und Verbraucher ermöglichen.